"ID4" - Independance Day
Das Schicksal hat es so gut mit mir gemeint, dass ich Mitte August '96 zufällig in London bin, um mir Roland Emmerichs "Independance Day" im traditionsreichen ODEON-Cinema am Marble Arch anzusehen.
Nachdem etwa 20 Minuten vom Film vorbei sind bin ich hochzufrieden; eine Menge wirklich überzeugender Tricks, atemberaubende Bilder, gekonnt inszenierte Spannung und gute Mimen. Mich überkommt das euphorische Gefühl, endlich mal wieder (erstmals seit Mel Gibsons 'BRAVEHEART') in einem richtig guten Blockbuster zu sitzen! Ich hoffe der Leser kennt dieses wohlige Gefühl der Vorfreude auf den restlichen Film... Man fühlt sich einfach klasse!
Doch dann kommt die Szene in der der US-Präsident (Bill 'Lone Star' Pullman) mit seinem Stab (ich meine damit Mitarbeiter und Familie, nicht was Du wieder denkst!) dem außerirdischen Inferno entkommen:
WARUM ZUM SCHUH MUSSTE EMMERICH DAS SO ÄTZEND UNREALISTISCH KNAPP MACHEN?!? Mal ehrlich, im nachhinein, mit der Einstellung man geht in das 'größte B-Movie aller Zeiten' ist die Szene der erste echte Lacher, aber an dem Abend habe ich den Film noch ernstgenommen!
Doch weiter: ich schüttele über diesen Ausrutscher den Kopf und beschließe, meine Meinung noch nicht zu revidieren, beim Kopieren des Films in einem Dreivierteljahr aber diese Szene in jedem Fall zu kürzen... Doch es kommt weitaus schlimmer! Die Freundin des Helden steckt im Autotunnel und die Feuerwalze -welch optisches Fest- rast auf die unschuldigen Bürger zu. Nicht genug damit, dass sich die Frau innerhalb von Zehntelsekunden in einen Seitenraum retten kann, nein, denn das zu glauben erscheint Emmerich wohl zu leicht. Er lässt das treusorgende Weib auch noch ihre blöde Töle retten, die in der weiteren Handlung gar keine wesentliche Rolle mehr spielt!! 'Warum?' fragt man sich zu Recht. Anfangs war ich ratlos, doch die Erklärung liegt auf der Hand:
Des Regisseurs Helden sind politisch derart korrekt zusammengewürfelt (ein Afro-Amerikaner, ein Jude, ein weißer Präsident, eine starke Frau...), dass man einfach keinen unschuldigen Hund so mirnichtsdirnichts vor seine Artgenossen gehen lassen darf. Is' nich!
Ich zähle die Szene zu meinen zukünftigen
Editier-Opfern und verfolge mit wachsendem Unbehagen die weitere
Handlung... Da zwingt der schwäbische Spielberg den geschätzten
Mr Pullman zu Sätzen
wie "Ich konnte für Sekunden
ihre Gedanken lesen, sie sind wie Heuschrecken" etc. An welchem
Punkt seiner Karriere muss man angekommen sein, um solch einen
Stuss nach einer derart guten Filmidee in die Handlung einzubringen???
Als wir dann schließlich Augenzeugen der Vernichtung des
Weltenretter-Raumgleiters durch die Explosionswelle des gigantischen
Mutterschiffs werden, bin ich längst an einem Punkt angelangt
der keine Hoffnung mehr übrig lässt, das Gesehene
zu glauben. Und es kommt tatsächlich wie es kommen musste:
Emmerich verspielt seine letzte Chance ernstgenommen zu werden,
die beiden überleben das nukleare Feuer sowie ihren Absturz
wenige Meilen neben ihren Startpunkt und paffen genüsslich
und unverletzt ihre Zigarren!
Trotz allem Unbill möchte ich mir "Independance Day" auf jeden Fall noch mal auf Deutsch ansehen und das aus zwei Gründen:
Erstens, um von der ersten Filmminute an USA-Flaggen zu zählen (müssen enorm viele sein!), und zweitens, um herauszufinden, ob mir die deutsche Version vielleicht irgendwelche Gründe zu nennen vermag, warum ein deutscher Regisseur seine Lippen derart fest mit dem Hintern des amerikanischen Publikums vernäht... Irgendeinen Grund muss es doch geben!
Jens Röttgers